Deutschlands Energiepolitik - mehr Unabhängigkeit und internationale Vernetzung
Erdgas, Öl und Kohle aus Russland.

Deutschlands Energiepolitik - mehr Unabhängigkeit und internationale Vernetzung.


Und warum der sich abzuzeichnende Energieengpass in Deutschland auch ohne Ukrainekrieg entstanden wäre.

 
 

Johannes Teyssen, der mehr als 10 Jahre lang Chef von E.on. war und aktuell Verwaltungsratspräsident der Alpiq ist, sagt, was die Politik in Deutschland unterlassen hat.





Unter dem zunehmenden Druck, die Abhängigkeit des Landes von russischer Energie zu lösen, müssen sich deutsche Beamte mit tief verwurzelten wirtschaftlichen Beziehungen auseinandersetzen: Westeuropas größter Erdgasspeicher in Rehden, Deutschland. Deutschland wird deshalb weder kurz- noch langfristig auf russische Gasimporte verzichten können, ohne ein wirtschaftliches Chaos, öffentliche Empörung und den Widerstand vieler Unternehmen auszulösen. Daran ist eine jahrelange, fehlgeleitete Energiestrategie mitschuldig.

Im vergangenen Jahr lieferte Russland mehr als die Hälfte des Erdgases und etwa ein Drittel des gesamten Erdöls, das Deutschland zum Heizen von Häusern, zum Betreiben von Fabriken und zum Betanken von Autos, Bussen und Lastwagen verbraucht. Ungefähr die Hälfte der deutschen Kohleimporte, welche für die Stahlproduktion unerlässlich sind, kamen aus Russland. Russisches Gas, Öl und Kohle sind in der deutschen Wirtschaft und Lebensweise fest verankert.

Die erste Erdgaspipeline, die das damalige Westdeutschland mit Sibirien verband, wurde in den frühen 1980er Jahren fertig gestellt. Das Erbe des Kalten Krieges ist noch immer in der Energieinfrastruktur im Osten Deutschlands zu sehen, die nach wie vor direkt mit Russland verbunden ist, was es schwieriger macht, Öl von anderen Anbietern in diesen Teil des Landes zu bekommen. "Es war ein Fehler, dass sich Deutschland so stark von Energieimporten aus Russland abhängig gemacht hat", sagt Christian Lindner, der deutsche Finanzminister. Er deutete an, dass Deutschland ein fünftes Paket von Sanktionen gegen Russland unterstützen würde, einschließlich eines Importverbots für russische Kohle.


Produktionsstandort Deutschland in Gefahr.


Doch die Chefs führender Chemie- und Stahlunternehmen bis hin zu den Herstellern von Gummibärchen haben Wirtschaftsführer davor gewarnt, dass ihre Produktion ohne eine kontinuierliche Versorgung mit Gas, Öl und Kohle zum Stillstand kommen würde. Nahezu die Hälfte aller deutschen Haushalte wird mit Erdgas beheizt, das auch zur Stromerzeugung in der Schwerindustrie verwendet wird. Die mächtigen deutschen Gewerkschaften der Chemie-, Bergbau- und Pharmabranche haben davor gewarnt, dass ein ernsthafter Rückgang der Gasimporte zu erheblichen Arbeitsplatzverlusten führen könnte.

Robert Habeck, der deutsche Energieminister, reist nach Katar und Washington, um sich neue Energiepartnerschaften zu sichern. Nach Angaben des Energieministeriums hat Deutschland seine Abhängigkeit von russischem Gas in den ersten drei Monaten des Jahres bereits um 15 Prozent auf 40 Prozent gesenkt. Führende Vertreter der Industrie haben sich jedoch gegen die Verhängung von Sanktionen gegen russisches Erdgas gewehrt. Wenn man den Hahn zudreht, würde das "irreversible Schäden" verursachen, warnte Martin Brudermüller, der Vorstandsvorsitzende des südwestdeutschen Chemieunternehmens BASF. Die Umstellung von russischem Erdgas auf andere Lieferanten oder auf alternative Energiequellen würde nicht Wochen, sondern vier bis fünf Jahre dauern.

Erst in diesem Jahr hat die deutsche Regierung 500 Millionen Euro für den Bau eines Terminals für den Direktimport von Flüssigerdgas zugesagt, um die 56 Milliarden Kubikmeter zu ersetzen, die Deutschland jedes Jahr aus Russland importiert. Flüssigerdgas ist eine alternative Quelle für Erdgas, ein Mittel, um es über große Entfernungen durch die Meere zu transportieren.

Russland liefert nicht nur große Mengen an Gas, sondern besitzt und betreibt über Tochtergesellschaften seines staatlichen Energiekonzerns Gazprom auch Tausende von Kilometern an Pipelines und mehrere wichtige Speichertanks in Deutschland. Dazu gehört auch Astora, das den größten unterirdischen Erdgasspeicher in Westeuropa besitzt.

Habeck kündigte, dass er Gazprom Germania, die Muttergesellschaft von Astora und die wichtigste Tochtergesellschaft von Gazprom in Deutschland, bis mindestens September 2022 unter staatliche Kontrolle stellen werde. Dieser Schritt wurde als ein entscheidender Schritt angesehen, um die Macht über die Gaslieferungen aus den Händen Russlands zurückzuerlangen.

Mehr als ein Drittel des in Deutschland raffinierten Öls kommt aus Russland. Ein großer Teil davon fließt über Pipelines aus der Zeit des Kalten Krieges direkt zu Anlagen in den ehemaligen Oststaaten des Landes.

Russisches Öl zu ersetzen bedeutet also nicht nur, Ersatz für eine riesige Menge Rohöl zu finden - Deutschland kaufte 2021 27 Milliarden Tonnen aus Russland -, sondern auch herauszufinden, wie man es zu den Raffinerien im Osten des Landes transportieren kann. Es gibt keine Pipelines, die über die ehemalige Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland führen.

Deutschland hat begonnen, seine Ölversorgung zu diversifizieren und den russischen Anteil von 35 Prozent in den ersten drei Monaten dieses Jahres auf 25 Prozent zu senken.

Ab Mitte April wird die Raffinerie Leuna in Ostdeutschland nur noch halb so viel russisches Öl verarbeiten wie in den vergangenen Jahren. Stattdessen wird Rohöl aus anderen Ländern per Lkw und Bahn aus Westdeutschland angeliefert, teilte das Wirtschaftsministerium mit.

Die PCK-Raffinerie in einer anderen ostdeutschen Stadt, Schwedt, befindet sich jedoch mehrheitlich im Besitz des russischen Energiekonzerns Rosneft, der weniger bereit war als die Leuna-Raffinerie, Deutschland aus Verträgen über künftige Öllieferungen aus Russland aussteigen zu lassen. Deutsche Medien haben berichtet, dass das Energieministerium prüft, ob eine staatliche Übernahme im Namen der Energiesicherheit gerechtfertigt sein könnte.

Die Abhängigkeit von der Kohle hat sich halbiert, aber Deutschland braucht immer noch Russland.

Kohle ist der am leichtesten zu ersetzende der drei Energieträger. Dennoch ist Deutschland für rund die Hälfte seiner Steinkohleimporte auf Russland angewiesen, nachdem es Ende 2018 sein letztes Kohlebergwerk geschlossen hat.

In den vergangenen sechs Wochen konnte Deutschland seine Lieferketten umstellen und neue Vereinbarungen unterzeichnen, um seine Abhängigkeit zu halbieren, so das Wirtschaftsministerium. Jetzt werden 25 Prozent des Kohlebedarfs des Landes von Russland gedeckt. Bis zum Ende des Sommers soll die Einfuhr des Brennstoffs ganz eingestellt werden.

Bis dahin, so Wirtschaftsminister Habeck, brauche Deutschland jedoch eine stetige Energieversorgung, um seine Rolle als Wirtschaftsmotor der Region aufrechtzuerhalten. Dies könnte jetzt besonders dringlich sein, da Europa aufgefordert ist, der Ukraine, die im letzten Monat ihr Stromnetz an Europa angeschlossen hat, um trotz des Krieges Stabilität zu gewährleisten, bei der Energie- und Versorgungsversorgung zu helfen.

Deutschland hat nach einigem Zögern auch Waffen an die Ukraine geliefert, wofür laut Habeck Stahl benötigt wird, der in deutschen Fabriken hergestellt wird, die mit Kohle betrieben werden, die noch immer aus Russland importiert wird. Wie diese Kohle im Falle von Sanktionen kompensiert werden soll, war nicht sofort klar.

"Wir werden gebeten, die Ukraine mit Rohstoffen zu versorgen", sagte Habeck. "Dafür brauchen wir eine intakte Infrastruktur."


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