Atomkraft in Deutschland, Europa verliert Kernenergie gerade dann, wenn es
Energie wirklich braucht.
Im 2021 noch hat Berlin eine Verlängerung der Laufzeit seiner bestehenden
Atomkraftwerke ausgeschlossen und damit Bedenken hinsichtlich der
Energiesicherheit beiseite geschoben. Nachdem Moskau als Vergeltung für die
westlichen Sanktionen im laufenden Russland-Ukraine-Krieg mit einem Stopp der
Gaslieferungen nach Deutschland gedroht hatte, wird genau dies aber diskutiert.
Deutschland hat Ende letzten Jahres damit begonnen, seine 9,5 GW Kernkraftwerkskapazität abzubauen, wobei 4,2 GW an drei Standorten abgeschaltet wurden, als Teil einer landesweiten Anstrengung, die Kernkraft nach dem Unfall in Fukushima 2011 zu beenden. Von den damals 17 Kernkraftwerken in Deutschland sind heute nur noch drei in Betrieb: Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2, die von den deutschen Energieunternehmen E.ON (EONGn.DE), RWE (RWEG.DE) bzw. EnBW (EBKG.DE) betrieben werden. Nach den derzeitigen Plänen sollen die Kraftwerke mit einer Gesamtkapazität von 4.200 Gigawatt (GW) bis Ende 2022 abgeschaltet werden.
Deutschland ist aber massiv vom russischen Gas abhängig, aber Moskaus Einmarsch in der Ukraine hat in Berlin ein politisches Umdenken ausgelöst. Insgesamt macht Gas mehr als ein Fünftel des deutschen Energiemixes aus, und Russland liefert 38 % davon, während Norwegen mit 35 % an zweiter Stelle steht. Nun werden Alternativen in Betracht gezogen, darunter mehr Solar- und Windenergie, Flüssigerdgas-Terminals (LNG), Gas- und Kohlekraftwerke sowie möglicherweise eine Rückkehr zur Kernenergie. Es gibt nun Bedenken und Ängste hinsichtlich einer möglichen Unterbrechung der Gaslieferungen aus Russland aufkommen ließ.
Die Untersuchung der Regierung kam am Dienstag (8. März 2022) zu dem Schluss, dass die Aufrechterhaltung der verbleibenden Kernkraftwerke des Landes zum jetzigen Zeitpunkt "nicht empfehlenswert" sei und dass es zu spät sei, die bereits stillgelegten Anlagen wieder in Betrieb zu nehmen.
Wir haben noch einmal sehr sorgfältig geprüft, ob uns ein längerer Betrieb der Kernkraftwerke in dieser außenpolitischen Situation helfen würde. Die Antwort ist negativ - sie würde uns nicht helfen. Dies sagte der deutsche Vizekanzler Robert Habeck. Die Bewertung wurde vom Wirtschaftsministerium unter Habeck und dem Umweltministerium unter Steffi Lemke, beide von den Grünen, vorgenommen.
Die Einschätzung der Regierung über die Vorzüge der Kernenergie kommt, nachdem Moskau offen damit gedroht hat, die Gaslieferungen über die Nord Stream 1-Pipeline nach Deutschland zu stoppen, nachdem Berlin beschlossen hat, das Zertifizierungsverfahren für Nord Stream 2 einzufrieren.
Deutschland begründete seine ablehnende Haltung zur Kernenergie mit rechtlichen und praktischen Unsicherheiten. Die Betriebsgenehmigung für die drei am 31. Dezember abgeschalteten Anlagen könne nicht "rechtssicher reaktiviert werden", erklärten die Ministerien in einer Stellungnahme. Und selbst wenn der Beschluss zum Wiederanfahren der Kernkraftwerke gefasst worden wäre, würden die Auswirkungen wahrscheinlich nicht rechtzeitig vor der Wintersaison 2022 spürbar werden, argumentierten sie.
Außerdem hätten die drei derzeit noch laufenden Kraftwerke nach dem 31. Dezember 2022 nicht mehr genügend Brennstoff zur Verfügung, was dazu führen würde, dass im kommenden Winter "keine zusätzliche Stromerzeugung" möglich wäre.
Angesichts des Widerstands aus den Reihen der umweltbewussten Grünen ist eine Laufzeitverlängerung politisch schwierig, aber nicht unmöglich. Nach geltendem Recht verlieren die verbleibenden Betreiber das Recht, die Anlagen über den 31. Dezember 2022 hinaus zu betreiben, dem Stichtag für das Auslaufen der Anlagen.
Sollte die deutsche Netzregulierungsbehörde, die Teil des Wirtschaftsministeriums ist, entscheiden, dass die Kraftwerke für die Versorgungssicherheit Deutschlands von entscheidender Bedeutung sind, könnte sie ihnen erlauben, länger zu laufen, was sie technisch auch tun könnten.
Eine Verlängerung der Laufzeit der drei laufenden Anlagen würde auch eine Sicherheitsbewertung erfordern, die zuletzt 2009 durchgeführt wurde. Um die Kraftwerke wieder in Betrieb zu nehmen und zu gewährleisten, dass sie über einen längeren Zeitraum hinweg dem "Stand der Technik" entsprechen, wären erhebliche Nachrüstungen erforderlich, so die Ministerien.
Die Kosten für die Wiederbeschäftigung des Personals und die Sicherheitsüberprüfung würden eine Laufzeitverlängerung von drei bis fünf Jahren erfordern. Dies hatte auch das Land Bayern gefordert. "Wir dürfen nichts stilllegen, was noch in Betrieb ist: Deshalb brauchen wir eine moderate Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke um 3 bis 5 Jahre", twitterte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder.
In ihrer Analyse gehen die beiden Ministerien "davon aus, dass im Zeitraum bis 2028 andere Optionen zur Verfügung stehen, um eine ausreichende Stromversorgung trotz Gasknappheit sicherzustellen", heißt es in dem Gutachten. "Ab Herbst 2023 würden sie zwar zusätzliche Strommengen liefern, aber kaum Gasmengen ersetzen, da Gaskraftwerke ohne KWK in einer Gaskrisensituation ohnehin kaum eingesetzt werden", heißt es in der Stellungnahme.
Der Druck auf Deutschland wächst, die Importe russischer Energie zu stoppen, von denen Kritiker behaupten, dass sie den Krieg des Kremls in der Ukraine finanzieren. Kernkraftwerke, die im Jahr 2021 noch 12 % der deutschen Bruttostromerzeugung liefern, sind in Deutschland nach wie vor umstritten. Nach der Katastrophe von Fukushima in Japan im Jahr 2011 wurde beschlossen, sie abzuschalten.
Bundeskanzler Olaf Scholz sagte, dass die fortgesetzten Importe russischer Energie für die deutschen Bürger "unverzichtbar" seien. "Die Versorgung Europas mit Energie für Wärmeerzeugung, Mobilität, Stromversorgung und Industrie kann derzeit auf keine andere Weise gesichert werden", sagte er. Ein totales Embargo auf russische Importe berge die "reale Gefahr einer Energieunterversorgung in bestimmten Sektoren", sagte Habeck am Dienstag.
"Ja, man kann die Laufzeiten der Kernkraftwerke verlängern ... wenn der Wille da ist und die Betreiber mitziehen", sagt Dirk Uwer, Partner bei der Anwaltskanzlei Hengeler Mueller. Um dies zu erreichen, müsste das Parlament bestehende Gesetze ändern, vor allem eine Vereinbarung aus dem Jahr 2017, nach der die Energieversorger ihre Stilllegungsfonds in eine öffentliche Stiftung übertragen haben.
"Es gibt keine Denkverbote mehr", sagt Marc Ruttloff, Partner der Anwaltskanzlei Gleiss Lutz, der E.ON in verschiedenen Fragen der Atomenergiepolitik beraten hat. Aufgrund der Hürden sind die Chancen für eine Verlängerung allerdings eher gering. Der deutsche Minister für Reaktorsicherheit - von den Grünen, denen auch Habeck angehört - sagte am Montag, ein solcher Schritt sei unverantwortlich und unsicher.
Was sagen die Betreiber?
Sie sind nicht euphorisch. "Wir tun seit
Jahren nichts anderes, als uns technisch und organisatorisch auf die
Stilllegung unserer Anlagen vorzubereiten", sagte ein Sprecher der
E.ON-Kernkraftsparte PreussenElektra. Der Konzern verfüge weder über den
Kernbrennstoff noch über das Personal, das für den Weiterbetrieb der Anlagen
erforderlich wäre.
RWE teilte mit, dass das Kraftwerk Emsland Ende 2022 stillgelegt werden soll, da zu diesem Zeitpunkt der Brennstoff verbraucht sein wird, und fügte hinzu, dass es hohe Hürden zu überwinden gäbe, sowohl technisch als auch im Hinblick auf die erforderlichen Genehmigungen, um die Laufzeit zu verlängern.
Die EnBW hingegen ist weniger ablehnend. "Wenn es für die Versorgungssicherheit notwendig ist, ist die EnBW selbstverständlich bereit, Maßnahmen aufgeschlossen zu prüfen und der Bundesregierung beratend zur Seite zu stehen", heißt es in einer per E-Mail versandten Stellungnahme.
Verzögerung des Atomausstiegs in Deutschland ist leichter gesagt als getan.
EON und EnBW sind bereit, die Kraftwerke über 2022
hinaus offen zu halten. Diese Unternehmen haben keine Verträge zum Kauf von
Kernbrennstoff nach Ablauf der Frist. Zwei der größten deutschen
Energieunternehmen erklärten, sie seien offen für eine Verschiebung des mit
Spannung erwarteten Atomausstiegs. Aber es könnte leichter gesagt als getan
sein, die Kraftwerke offen zu halten.
EON SE und EnBW Energie Baden-Württemberg AG erklärten, sie seien zumindest bereit, über eine mögliche Verlängerung des Betriebs zu diskutieren. Zwar sei es technisch möglich, die Kraftwerke über das Jahr 2022 hinaus weiterlaufen zu lassen, doch haben die Unternehmen danach keine Verträge mehr, um Kernbrennstoffe zu kaufen, und die Regierung könnte sowohl bei den Wählern als auch bei Umweltgruppen auf Widerstand stoßen.
Alle europäischen Länder ergreifen derzeit Maßnahmen, um ihre Energieversorgung sicherzustellen, da der Krieg in der Ukraine wütet und die Sanktionen die Befürchtung nähren, dass Russland Vergeltung üben und die Rohstoffexporte drosseln könnte. Deutschland hat außerdem Unterstützung für erneuerbare Energien und neue LNG-Terminals zugesagt und erklärt, dass es seinen Kohleausstieg verschieben könnte. Italien könnte einige stillgelegte Kohlekraftwerke wieder in Betrieb nehmen und erwägt außerdem, mehr Gas aus den USA, Aserbaidschan, Algerien, Tunesien und Libyen zu importieren.
Die Wiederinbetriebnahme einiger bereits stillgelegter Reaktoren wäre sehr schwierig, aber es könnte möglich sein. Anlagen, die noch nicht stillgelegt sind, weiter zu betreiben. EON erklärte, man habe sich seit Jahren auf den Ausstieg vorbereitet, sei aber offen für eine Verzögerung, wenn die deutsche Regierung dies ausdrücklich wünsche. EnBW unterstützt den Ausstieg, ist aber bereit, alle Maßnahmen zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit zu prüfen und die Bundesregierung zu beraten, wenn sie darum gebeten wird.
Eine Verschiebung des Atomausstiegs könnte dazu beitragen, die Abhängigkeit von Gas zu verringern und die Verbrennung von Kohle, dem schmutzigsten fossilen Brennstoff, zu vermeiden. Dennoch hat Deutschland noch keine Entscheidung über die Atomenergie getroffen, obwohl es andere Maßnahmen angekündigt hat, darunter einen Plan zur Förderung erneuerbarer Energiequellen.
"Die Vorbereitungen für die Abschaltung sind
so weit fortgeschritten, dass die Atomkraftwerke nur unter höchsten
Sicherheitsbedenken und möglicherweise mit noch nicht gesicherter
Brennstoffversorgung länger betrieben werden könnten", sagte Habeck.
"Ich würde mich nicht ideologisch dagegen stellen - aber die
Voruntersuchung hat gezeigt, dass es uns nicht weiterhilft."
Quelle 05/2022 -1
Quelle 05/2022 -2
Quelle 05/2022 -3