Energieversorgung Deutschland, direkte oder indirekte Energieströme und -Bedarfe
Auch ohne Erdgas aus Russland.

Energieversorgung Deutschland, direkte oder indirekte Energieströme und -Bedarfe.


Die Welt spürt die wirtschaftlichen und energiepolitischen Auswirkungen der russischen Invasion in der Ukraine. In der EU hat die Energiesicherheit, die Fähigkeit, den Endenergiebedarf aus zuverlässigen Quellen zu decken, drastisch abgenommen.

Die Abhängigkeit der EU von russischer Energie hat bis zum Einmarsch Ende Februar 2022 zugenommen. Im Jahr 2021 importierte die EU 40 % ihres Erdgases und 25 % ihres Erdöls (Rohöl und Petroleum) aus Russland.

Die jetzt gestoppte Nord-Stream-2-Pipeline hätte die Erdgas-Kapazität aus Russland um 55 Mrd. m3 oder 14 % des Gasbedarfs der Region im Jahr 2021 erhöht. Monatelang vor der Invasion hatte Wladimir Putin die Erdgasmärkte manipuliert und Ängste vor einem harten Winter in Europa geschürt, wo fast 40 % des Heizbedarfs von Privathaushalten mit Erdgas gedeckt wird.

Es gibt zwei Arten von Energieströmen, die für globale Versorgungsketten entscheidend sind. Die erste ist die direkte Energie, d. h. die Energie, die im Import oder Export von Energieträgern enthalten ist. Russland ist durch die Ausfuhr von Gas, Rohöl und raffinierten Erdölerzeugnissen ein wichtiger Lieferant von direkter Energie. Der zweite Strom ist die indirekte Energie, d. h. die Energie, die zur Herstellung einer Ware oder Erbringung einer Dienstleistung benötigt wird, die anschließend importiert oder exportiert wird.

Indirekte Energie folgt der Ware oder Dienstleistung, wenn sie in der Lieferkette weiter verwendet wird. Die gesamte Energie, die in einer Lieferkette zur Herstellung eines Endprodukts verbraucht wird, wird als verkörperte Energie bezeichnet. Ein Beispiel hierfür wäre die Energie, die für die Herstellung von aus Erdöl gewonnenen Produkten wie Kunststoffen und synthetischem Kautschuk verbraucht wird, die wiederum für die Herstellung von Autoteilen und anderen Konsumgütern verwendet werden.

Obwohl die Bewertung sowohl der direkten als auch der indirekten Energieströme für die Energiesicherheit von entscheidender Bedeutung ist, hat sich die Energiepolitik weiterhin nur auf die direkte Energie konzentriert. Die jüngsten Maßnahmen der USA, der EU und Japans - einschließlich der Sanktionen und der Abschaffung des günstigen Handelsstatus Russlands - zielen auf die direkten Energieströme in der Weltwirtschaft ab. Direkte Energieschocks sind kurzfristig spürbar, und ihre Auswirkungen können weitgehend vorhergesehen werden. Schocks aufgrund indirekter Energienutzung, wie höhere Strom-, Düngemittel- und Chemikalienpreise aufgrund von Gasknappheit, sind ebenfalls spürbar, aber schwieriger vorherzusehen und vorzubereiten. 

Wenn ein Produkt importiert wird, anstatt es im eigenen Land zu produzieren, wird ein Teil des Energiebudgets frei, der an anderer Stelle in der Wirtschaft verwendet werden kann. Gleichzeitig bindet das importierte Produkt an die Energiesicherheit des exportierenden Landes.

Energie aus Russland.

Europa fürchtet die Folgen des Krieges für die Energieversorgung und die Energiepreise, die seit Anfang des Jahres in schwindelerregender Höhe gestiegen sind. In den letzten Jahrzehnten hat sich Europa bei seinen Energieressourcen zu sehr von Russland abhängig gemacht.

 
 


ZDF heute, 8.5.2022

Deutschland, die größte europäische Volkswirtschaft, bezieht etwa 55 % seines Gases aus Moskau, außerdem 50 % seiner Steinkohle und 30 % seines Öls. Um seine Abhängigkeit von Russland zu verringern, führt Deutschland drastische Veränderungen in seiner Energiepolitik durch: Die Regierung strebt bis 2035 eine Stromversorgung aus 100 % erneuerbaren Energien an.

Nach Angaben von Eurostat verbrauchte Deutschland im Jahr 2020 rund 868 Terawattstunden (TWh) Erdgas, das sind rund 86,8 Milliarden Kubikmeter (bcm) Erdgas. Hauptverbraucher sind die Industrie (255 TWh oder 29 Prozent des gesamten Erdgasverbrauchs), Haushalte (252 TWh oder 29 Prozent, ohne Fernwärme), Gewerbe/Kleinverbraucher (116 TWh oder 13 Prozent) und der Energiesektor mit Stromerzeugung, Wärmeerzeugung und Erdgaseinsatz in Raffinerien (insgesamt 243 TWh oder 28 Prozent). Rund 95 Prozent des Erdgasverbrauchs wurden zuletzt importiert. Ab 2020 kommen mehr als 50 Milliarden Kubikmeter Erdgas, also mehr als die Hälfte der Importe, aus Russland.

 
 

Russisches Erdgas kommt nach Deutschland über den Zentralkorridor durch die Ukraine, die Slowakei und die Tschechische Republik (Bratsvo-Pipeline), über die Ende der 1990er Jahre eröffnete Jamal-Europa-Pipeline durch Weißrussland und Polen sowie über die 2011 eröffnete Nord Stream (1)-Pipeline aus dem Raum St. Petersburg durch die Ostsee nach Lubmin (Mecklenburg Vorpommern). Seit einigen Jahren exportiert Russland auch LNG aus Sibirien nach Europa, was allerdings nur einen kleinen Teil der russischen Exporte ausmacht und für Deutschland eine untergeordnete Rolle spielt.

Der russische Krieg gegen die Ukraine und die Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas erfordern ein Umdenken in der deutschen Energieversorgung. Während über ein sofortiges Energieembargo heftig diskutiert wird, könnte Russland seine Lieferungen auch jederzeit einstellen. Das DIW Berlin hat Szenarien entwickelt, wie das deutsche Energiesystem im europäischen Kontext möglichst schnell unabhängig von diesen Importen werden könnte: Auf der Angebotsseite könnten Lieferungen aus anderen erdgasexportierenden Ländern einen Teil der russischen Exporte kompensieren.

Für die Erdgasnachfrage werden verschiedene Szenarien unterschieden: ein Basisszenario, ein mittleres Einsparszenario und ein optimistisches Einsparszenario. Das Basisszenario beinhaltet die Annahme moderater Einsparungen (minus neun Prozent gegenüber 2020), was bedeutet, dass die Erdgasnachfrage in etwa dem Niveau von 2014/2015 entspricht, als auch auf dem Erdgasmarkt hohe Preise herrschten. Der Erdgasverbrauch kann vor allem im Stromsektor (ohne Wärmeerzeugung) gesenkt werden, wo der Ersatz von Erdgas aus technischer Sicht eher möglich ist. Dies würde jedoch kurzfristig den Einsatz von mehr Kohle erfordern. Die Nachfrageszenarien gehen davon aus, dass mindestens 30 Prozent und bis zu 100 Prozent (bezogen auf das Jahr 2020) des Erdgasverbrauchs im Stromsektor verlagert werden könnten.

Wenn die derzeitigen Erdgasimporte aus Russland eingestellt werden, muss der Erdgasverbrauch gesenkt werden. In Anbetracht der derzeitigen ernsten Lage ist mit einem stärkeren Nachfragerückgang zu rechnen, als dies in den für die Analyse üblicherweise verwendeten langfristigen Gleichgewichtsmodellen angenommen wird. So sank in einem Gleichgewichtsmodell des internationalen Erdgasmarktes die Nachfrage nach einer Preiserhöhung aufgrund einer Versorgungsunterbrechung nur um vier Prozent pro Jahr.info Aktuelle energiewirtschaftliche Studien zeigen dagegen ein kurzfristiges Einsparpotenzial von rund 18 Prozent des Gasbedarfs in Deutschland.info Zudem setzt der hohe Erdgaspreis an den Großhandelsmärkten seit Sommer 2021 Anreize, den Erdgasverbrauch zu reduzieren.

Die Versorgungssicherheit würde deutlich gestärkt, wenn die Pipeline- und Speicherinfrastruktur effizienter genutzt würde. Auf der Nachfrageseite besteht ein kurzfristiges Einsparpotenzial von 19 bis 26 Prozent des derzeitigen Erdgasbedarfs. Mittelfristig ist vor allem eine Forcierung der erneuerbaren Wärmeversorgung und eine höhere Energieeffizienz notwendig. Wenn die Energieeinsparpotenziale maximal ausgeschöpft und gleichzeitig die Lieferungen aus anderen Erdgaslieferländern so weit wie technisch möglich ausgebaut werden, ist die Versorgung Deutschlands mit Erdgas im Jahr 2022 und im kommenden Winter 2022/2023 auch ohne russische Importe gesichert.

Wenn russische Lieferungen ausbleiben, ist die Versorgungssicherheit auch ohne neue LNG-Terminals möglich. Bei einer schnellen Anpassung des deutschen Energiesystems könnte der Ausfall der russischen Erdgasexporte im Laufe des Jahres 2022 kompensiert und die Energieversorgung im kommenden Winter gesichert werden. Voraussetzung dafür ist, dass die deutschen Erdgasimporte aus den traditionellen Lieferländern deutlich ausgebaut werden. Darüber hinaus ist es notwendig, die vorhandenen Speicher bis zum Beginn der Heizperiode im Winter 2022/2023 zu 80 bis 90 Prozent zu füllen. Eine effizientere Nutzung des deutschen und europäischen Erdgasleitungsnetzes und dessen Anbindung an Südeuropa könnte die Situation weiter entspannen.

Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat den ehrgeizigen Zielen Deutschlands, den Anteil der erneuerbaren Energien in seinem Energiesystem zu erhöhen, eine neue Dimension verliehen. An einem "historischen Wendepunkt" wurde der schnelle Verzicht auf die Einfuhr fossiler Brennstoffe für Deutschland praktisch über Nacht von einer moralischen Verpflichtung und langfristigen Umweltschutzmaßnahme zu einer Frage der nationalen Sicherheit und kurzfristigen wirtschaftlichen Stabilität.

Windkraft, Photovoltaik, Bioenergie, Wasserkraft und andere erneuerbare Energiequellen werden seitdem als "Freiheitsenergien" bezeichnet, die es dem Land ermöglichen können, seine Energieabhängigkeit erheblich zu verringern und die Grundlage für die Dekarbonisierung der Wirtschaft zu bilden. Diese Frage und Antwort befasst sich mit den Plänen für den Übergang zu einem Stromsystem, das zu 100 Prozent auf erneuerbaren Energien basiert, und mit den Möglichkeiten, diesen Übergang zu beschleunigen.

Massiver Ausbau erneuerbarer Energien.


Wie lauten Deutschlands aktuelle Ausbauziele für Wind, Sonne und andere erneuerbare Energien? Bereits vor dem Einmarsch Russlands hatte sich die deutsche Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP zum Ziel gesetzt, bis 2030 einen Anteil von 80 Prozent erneuerbarer Energien am Stromverbrauch zu erreichen. Kurz nach Ausbruch des Krieges am 24. Februar erhöhte sie das Ziel auf 100 Prozent bis 2035, was bedeutet, dass sich das Ausbautempo der erneuerbaren Energien vervielfachen muss. In einem Maßnahmenpaket vom April 2022, das als "größte energiepolitische Reform seit Jahrzehnten" vorgestellt wurde, schlug die Koalition vor, den Ausbau von Wind- und Solarenergie "auf ein völlig neues Niveau" zu heben. Anfang 2022 deckten erneuerbare Energien bereits rund 54 Prozent des Stromverbrauchs.

Die installierte Onshore-Windkapazität soll 115 Gigawatt (GW) erreichen, was bedeutet, dass ab 2025 ein jährlicher Zubau von 10 GW erforderlich ist. Bis zum Jahr 2021 wurde im Land eine Gesamtkapazität von rund 56 GW an Onshore-Windkraftanlagen installiert. Die Solar-PV-Installationen werden sich ab 2026 auf 22 GW pro Jahr belaufen, um bis 2030 eine Gesamtkapazität von 215 GW zu erreichen, gegenüber etwa 60 GW im Jahr 2021. Der Zubau von Offshore-Windkraftanlagen wird ebenfalls erhöht, um bis zum Ende des Jahrzehnts mindestens 30 GW, bis 2035 40 GW und bis 2045 70 GW zu erreichen. So ehrgeizig dies auch klingt, sind wesentlich höhere Ausbauraten in diesem Land nicht ohne Beispiel. Im Jahr 2017 wurden in Deutschland 5 GW Windkraft installiert, und der Ausbau der Solarkapazität erreichte vor 2012 mit rund 8 GW seinen Höhepunkt.

Die Regierung hat angekündigt, dass sie bis zum Sommer ein zweites Paket von Gesetzesreformen vorlegen wird. Dazu gehören Entwürfe für Reformen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), des Offshore-Windgesetzes, des Energiewirtschaftsgesetzes und eines Gesetzes zur Beschleunigung des Ausbaus der Stromübertragungsnetze. Es wird nun an das Parlament weitergeleitet und könnte noch in der ersten Hälfte des Jahres 2022 verabschiedet werden, so das Wirtschaftsministerium (BMWK).

Ist ein Ende der russischen Importe in Sicht?


Wird der geplante Ausbau der erneuerbaren Energien ein Ende der russischen Importe ermöglichen und die Klimaziele erreichen? Eine vollständige Unabhängigkeit scheint für Deutschland selbst bei einem vollständig dekarbonisierten Energiesystem aufgrund der anhaltenden Rohstoffimporte und der für die Umsetzung der Dekarbonisierungsmaßnahmen erforderlichen Stromkapazität unwahrscheinlich. Die Energiepotenziale, die durch erneuerbare Energien im Inland erschlossen werden können, sind jedoch nach wie vor erheblich. Der Ausbau der erneuerbaren Energien bildet die Grundlage für fast alle Aktivitäten der Energiewende, die Deutschland geplant hat, um sein Ziel der vollständigen Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen. Die Elektrifizierung von Mobilität, Wärme und anderen Sektoren ist neben der Effizienzsteigerung zur Senkung des Gesamtenergiebedarfs ein Eckpfeiler für den Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energieträger wie Benzin im Auto oder Erdgas in Heizungsanlagen - und das ohne neue CO2-Emissionen. Allerdings deckt Strom bisher nur einen Bruchteil des deutschen Primärenergieverbrauchs ab, der Anteil der erneuerbaren Energien lag 2021 bei etwas mehr als 16 Prozent.

Erneuerbare Energien bilden aber auch die Grundlage für die Erzeugung von grünem Wasserstoff, der die Dekarbonisierung in Sektoren und Anwendungen ermöglicht, für die Strom bisher keine praktikablen Lösungen bietet. Der Ausbau der erneuerbaren Energien braucht jedoch Zeit und bietet keinen schnellen Ausweg aus der derzeitigen misslichen Lage. In ihrem Fortschrittsbericht zur Energiesicherheit von Ende März 2022 erklärte die Regierung, dass das Ziel, die Importe aus Russland bis Mitte 2024 deutlich auf 10 Prozent des Gasverbrauchs zu reduzieren, eine weitere Diversifizierung der fossilen Brennstoffquellen, einen schnelleren Ausbau von Wasserstoff und einen "massiven Ausbau" der erneuerbaren Energien erfordern würde. Das Osterpaket soll der "größte Beschleuniger seit dem Jahr 2000" werden, als mit durchschlagendem Erfolg eine garantierte Vergütung für den Ausbau von Wind- und Solarstromanlagen eingeführt wurde. Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck hatte in Anspielung auf den raschen Bau einer Gigafabrik für E-Autos durch den US-Autobauer in der Nähe von Berlin darauf gedrängt, dass der Ausbau "im Tesla-Tempo" erfolgen müsse. Er warnte jedoch, dass das Land noch nicht genügend Spielraum bei der Energieversorgung habe, um die Abhängigkeit von Russland schnell zu beenden.

Was ist die Rolle der deutschen Unternehmen?


Sind die Unternehmen für erneuerbare Energien bereit für einen schnellen Ausbau? Die Steigerung der Produktion und Installation von Windturbinen, Solarmodulen und anderen Anlagen für erneuerbare Energien wurde mit dem Amtsantritt der neuen Regierung Ende 2021 zur Priorität erklärt, so dass die Unternehmen etwas Zeit hatten, sich auf einen erneuten Ausbauschub vorzubereiten. Das Beratungsunternehmen McKinsey erklärte jedoch, dass das Erreichen der prognostizierten Ausbaumengen bisher keine Herausforderung gewesen sei und das Land aufgrund der ehrgeizigen neuen Ziele Gefahr laufe, hinter seinen eigenen Zeitplan zurückzufallen. Der Branchenverband BSW-Solar ist jedoch zuversichtlich, dass seine Unternehmen die erhöhten Ziele erreichen können und argumentiert sogar, dass diese die untere Grenze dessen darstellen, was notwendig ist, um die Klimaziele des Landes zu erreichen und die zur Stilllegung vorgesehenen Kohlekraftwerke zu ersetzen. Die Industriegruppe hält einen Ausbau auf bis zu 250 GW bis zum Ende des Jahrzehnts für möglich, sofern der politische Wille vorhanden ist. Langfristig könnte das Land bis zu 500 GW installieren, fügte sie hinzu.

Die Windenergiebranche ist hinsichtlich eines schnellen Ausbaus vorsichtiger. Der Bundesverband WindEnergie (BWE) bezeichnete die aktuellen Ausbaupläne bereits als "sehr ambitioniert". Da der Turbinenbau in Deutschland in den letzten Jahren fast völlig zusammengebrochen sei, hätten viele Unternehmen ihre Produktionskapazitäten im Inland zurückgefahren, um sich auf Auslandsmärkte zu konzentrieren. Der BWE geht davon aus, dass die Hersteller ihren Fokus wieder auf den heimischen Markt richten werden, da ein nachhaltiger Zubau in Deutschland zu erwarten ist und das Interesse an Windkraftauktionen ab Anfang 2022 wieder steigt. "Ein kräftiger Ausbau wird unabdingbar sein", so die Gruppe. Die Lobbygruppe sagte jedoch, dass Deutschland bis 2040 bis zu 200 GW an Onshore-Windenergie installieren könnte, wenn das Land sein "bürokratisches Korsett" ablegen würde.

Für den Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE), den Dachverband der Branche, spiegeln die aktuellen Ziele noch nicht die durch den Krieg in der Ukraine entstandene Situation und den neuen Fokus auf die Versorgungssicherheit wider. Er erwartet, dass die Regierung mehr Hebel in Bewegung setzt, damit erneuerbare Energien fossile Energieträger ersetzen können, denn der Strombedarf soll bis 2030 auf mindestens 750 Terawattstunden (TWh) steigen. Der BEE betonte, dass die Bioenergie eine zentrale Rolle bei der Abkehr von der russischen fossilen Energie spielen könnte, indem sie gleichzeitig Alternativen für den Stromsektor, die Wärmeversorgung und die Mobilität bietet. Dies würde jedoch eine massive Einführung von Elektrolyseuren für Biogasanlagen erfordern. Laut dem Europäischen Biogasverband könnte Biogas "sofort" 5 Prozent der russischen Gasimporte in Deutschland ersetzen.

Welche Hindernisse stehen einer schnellen Expansion im Wege? Und wie können sie überwunden werden? Die Ausbaufortschritte der letzten Jahre blieben aus einer Vielzahl von Gründen hinter den Zielwerten zurück, darunter Kostendruck, geringes Vertrauen der Investoren, Schwierigkeiten bei der Projektgenehmigung und Klagen gegen neue Anlagen, insbesondere bei Onshore-Windkraftanlagen. Die folgenden Hürden sind die wichtigsten, die es zu überwinden gilt, damit der Ausbau der erneuerbaren Energien schneller vorankommt.

Das zusätzliche Angebot reicht zwar nicht aus, um alle bisherigen russischen Erdgasimporte zu ersetzen, aber in Kombination mit dem sinkenden Erdgasverbrauch kann die Energieversorgung Deutschlands gesichert werden. Der Bau von LNG-Importterminals an der Küste ist aufgrund der langen Bauzeiten und des mittelfristig stark sinkenden Erdgasbedarfs nicht sinnvoll und birgt erhebliche Verlustrisiken (sog. Stranded Investments).

Unter optimistischen Annahmen sind Erdgaseinsparungen von 18 bis 26 Prozent des Bedarfs möglich. Während Erdgas im Stromsektor kurzfristig durch alternative Energieträger ersetzt werden kann, gehen die Einsparungen in der Industrie mit einem Rückgang der Produktion einher. Die besonders betroffenen Branchen sollten daher entschädigt werden. Diese Programme sollten darauf abzielen, den Erdgasverbrauch strukturell zu senken und die Umstellung auf treibhausgasarme Produktionstechnologien zu fördern.

Bei den Privathaushalten kann Erdgas weitgehend nur durch eine Verringerung des Energiebedarfs eingespart werden, so dass so schnell wie möglich Energiesparkampagnen erforderlich sind. Darüber hinaus müssen Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz und zur Erleichterung des Umstiegs auf erneuerbare Wärme (in Verbindung mit Wärmepumpen) unverzüglich umgesetzt werden.

Kann die Russland-Ukraine-Krise die Umstellung auf grüne Energie beschleunigen?

Der Ausbau der erneuerbaren Energien und die Abkehr von der fossilen Erdgasversorgung werden Deutschland und andere europäische Länder mittelfristig auch unabhängiger von fossilen Energieimporten machen. Erdgas ist in der Gesamtbetrachtung der Produktionskette ein fossiler Energieträger, der durch das bei Förderung und Transport emittierte Methan ähnlich klimaschädlich ist wie die Kohle. In Veröffentlichungen des DIW Berlin wird seit Jahren darauf hingewiesen, dass die mittel- und langfristige Versorgungssicherheit Deutschlands auch ohne Erdgaslieferungen aus Russland gewährleistet werden kann: Zum einen kann auf eine diversifizierte Versorgung über Pipeline- und Flüssigerdgas (LNG)-Terminals in den Nachbarländern zurückgegriffen werden, zum anderen können Energieeinsparpotenziale von bis zu 26 Prozent des derzeitigen Erdgasverbrauchs zur Versorgungssicherheit beitragen. Zeitkritisch sind nun Maßnahmen, die eine effiziente Nutzung der vorhandenen Infrastruktur ermöglichen und gleichzeitig die Weichen für ein mittelfristiges Ende der Nutzung von fossilem Erdgas, insbesondere im Wärmesektor, stellen.

Eine Diversifizierung durch erneuerbare Energien kann die Unabhängigkeit durchaus fördern. Da Deutschland weitgehend von Energieimporten abhängig ist, führt es eine Reihe von Maßnahmen zur Diversifizierung seiner Energieversorgung durch. Angesichts der aktuellen Ereignisse wird die Bundesregierung ihre Erdgasreserven durch langfristige Optionen und koordinierte EU-Käufe auf dem Weltmarkt um 2 Milliarden Kubikmeter (bcm) erhöhen. Außerdem plant sie den Bau von zwei Terminals für verflüssigtes Erdgas (LNG) an der Nordseeküste. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass das Projekt die kurzfristige Nachfrage befriedigen kann, da es zwei bis fünf Jahre dauern kann, bis es genehmigt wird. Außerdem bestehen weiterhin Bedenken hinsichtlich der Umweltauswirkungen von LNG. Seine Verwendung könnte auch den Übergang des Landes zu 100 % erneuerbaren Energien verlangsamen.

Trotz gegenteiliger Andeutungen wird Deutschland am Ausstieg aus der Kohle- und Kernenergie festhalten. Die drei verbleibenden Kernkraftwerke des Landes werden im Dezember 2022 ihren Betrieb einstellen, während die Kohleverstromung in etwa einem Jahrzehnt beendet sein wird. Im Jahr 2020 verabschiedete Deutschland das "Kohleausstiegsgesetz" mit dem Ziel, die Nutzung der Kohleenergie schrittweise zu reduzieren und schließlich bis spätestens 2038, möglicherweise sogar schon 2035, zu beenden.

Die Invasion in der Ukraine hat die Gefahren aufgezeigt, die mit der Energieabhängigkeit von Ländern mit einem hohen geopolitischen Risikoprofil verbunden sind, und die entscheidende Rolle der Energieautarkie für die nationale Sicherheit verdeutlicht. Als Reaktion darauf plant Deutschland, den Zeitplan für sein im Januar 2021 in Kraft getretenes "Erneuerbare-Energien-Gesetz" zu beschleunigen. Dem Gesetz zufolge müssen sowohl die Stromversorgung als auch der Stromverbrauch bis 2050 kohlenstoffneutral werden, und bis 2030 müssen 65 % des Stroms aus sauberen Quellen stammen. Das neue Gesetz sieht vor, dass das Land bis 2030 80 % und bis 2035 100 % seiner Energie aus erneuerbaren Quellen erzeugen muss. In Anerkennung der Notwendigkeit einer größeren Energieunabhängigkeit hat die deutsche Regierung rund 200 Milliarden Euro für Investitionen in die Dekarbonisierung bereitgestellt. Die weit verbreitete Nutzung erneuerbarer Energiequellen könnte Deutschland in die Lage versetzen, seinen Energiebedarf zu decken und nicht mehr auf Energiequellen außerhalb seiner Grenzen angewiesen zu sein.

Die prekäre Lage Europas in Bezug auf die Energieversorgungssicherheit hat Deutschland in dieser Krise einen begrenzten Handlungsspielraum gelassen. In der Zwischenzeit wählt Berlin einen vorsorglichen Ansatz gegenüber Moskau. Trotz der Forderung, die Einfuhr von russischem Gas und Öl zu stoppen - die zur Finanzierung von Putins Krieg gegen die Ukraine beitragen - haben Deutschland und andere europäische Länder ein vollständiges Verbot abgelehnt. Energieimporte sind die Haupteinnahmequelle des Kremls. Die Regierung Scholz fürchtet jedoch die Auswirkungen, die ein Energieembargo auf ihre Volkswirtschaft und die Gesellschaft insgesamt haben könnte. Russland selbst droht damit, als Vergeltung für die Sanktionen die europäischen Erdgaslieferungen zu kappen.

Was braucht es für eine schnellere Umsetzung der erneuerbaren Energien?

 

Schnellere Genehmigungsverfahren

Die Lockerung der Vorschriften für neue Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien und die Beschleunigung der Genehmigungsverfahren ist eine der dringendsten Maßnahmen, um den Ausbau kurzfristig zu beschleunigen. Viele Projekte sind bereits geplant, werden aber durch ungelöste Genehmigungsfragen aufgehalten. Langwierige Genehmigungsverfahren für neue Windparks plagen die Branche seit Jahren. Dabei geht es meist um Fragen wie Mindestabstände zu Wohngebieten und Baugenehmigungen in ökologisch sensiblen Gebieten. Nach Ansicht der Windkraftunternehmen müssen die Verfahren gestrafft und Konflikte mit dem Naturschutz durch Standardverfahren gelöst werden. Die Regierung hat Anfang 2022 Änderungen der Artenschutzanforderungen vorgelegt, die einheitliche rechtliche Standards in allen Bundesländern vorsehen. Die Änderungen könnten die durchschnittliche Genehmigungsdauer von derzeit sechs auf drei Jahre halbieren. Darüber hinaus könnten durch neue Abstandsregelungen zwischen Windkraftanlagen und Radaranlagen oder Drehfunkfeuern rund 5 Gigawatt an Onshore-Windkapazität freigesetzt werden, so dass in kurzer Zeit rund 1.200 neue Windkraftanlagen gebaut werden könnten. Eine der schnellsten und zuverlässigsten Möglichkeiten, die Leistung schnell zu steigern, sei die Nachrüstung bestehender Windkraftanlagen mit neuen und leistungsfähigeren Turbinen, das sogenannte Repowering, so der BWE. Die Zahl der neu erteilten Genehmigungen für Windenergieanlagen war Anfang 2022 allerdings noch geringer als im Vorjahr.

Solarstromprojekte sind im Durchschnitt wesentlich einfacher zu realisieren als Windparks. Doch Hausbesitzer und Unternehmen, die Solarstromanlagen auf ihren Dächern installieren wollen, werden bei der Beantragung der notwendigen Genehmigungen und Förderrahmen oft allein gelassen. Mit Quartiersmanagementkonzepten, die Anlagen bündeln, könnten laut BSW-Solar die Nutzung von Solarstrom vor Ort verbessert und ganze Stadtteile schnell und zusammenhängend mit erneuerbarer Energie versorgt werden. Anfang 2022 will die Regierung zudem mehr landwirtschaftliche Flächen sowie Moorgebiete für Solaranlagen öffnen.

Eine wachsende Zahl von regulatorischen Hürden und teurere Genehmigungsverfahren hemmten zudem die Investorentätigkeit für Bioenergieanlagen, so der Fachverband Biogas. "Völlig überzogene" Bauauflagen würden Projekte unrentabel machen und einige der oft kleinen und mittleren Anbieter hätten sogar Schwierigkeiten, sich durch den erforderlichen Papierkram zu kämpfen.

Höhere Akzeptanz

Proteste lokaler Interessengruppen gegen Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien haben in den letzten Jahren die Umsetzung vieler Projekte verzögert. Sie kamen oft von Anwohnern, die Energieinfrastruktur in der Nähe ihrer Häuser ablehnen. Der Windenergiekonzern BWE erklärte, dass der Krieg in der Ukraine nun das Gleichgewicht in vielen Schlüsselbereichen, die derzeit einen schnelleren Ausbau behindern, verändern könnte, da Verwaltungen, Unternehmen und Bürger den Beitrag der Windenergie zur Energiesicherheit überdenken. "Eine unabhängige Versorgung kann nur mit erneuerbaren Energien erreicht werden. Wir gehen davon aus, dass sich diese Erkenntnis durchsetzen wird", so der BWE. Die wichtige Hürde der Mindestabstände für neue Anlagen gerät daher zunehmend unter Rechtfertigungsdruck. In ihrem Osterpaket legt die Regierung den Grundsatz fest, dass die Nutzung erneuerbarer Energien von übergeordnetem öffentlichem Interesse ist und bis zur Erreichung der Treibhausgasneutralität Vorrang vor anderen Belangen haben wird. Als Anreize für eine höhere Akzeptanz wurden u. a. Ausnahmen für Bürgerenergie-Initiativen von der Teilnahme an Auktionen und ein besserer Zugang für lokale Gemeinden zu den finanziellen Vorteilen von Windparks und Freiflächen-Solaranlagen in der Nähe vereinbart.

Solarenergie wird im Allgemeinen von den Anwohnern besser akzeptiert, da selbst größere Anlagen weniger sichtbar sind und weniger Aufmerksamkeit erregen als die hohen Windkraftanlagen. Viele Bürgerinnen und Bürger tolerieren den Ausbau der Solarenergie nicht nur, sondern wollen sich auch daran beteiligen, denn immer mehr Hausbesitzer erwägen die Installation von Solarmodulen auf ihren Dächern, oft zusammen mit solarbetriebenen Batterien in ihren Kellern. Ende 2021 hatte jeder dritte Haushalt eine Anlage zur Stromerzeugung oder zum Heizen in Erwägung gezogen. Die Hauptgründe dafür sind laut der Agentur für Erneuerbare Energien (AEE) eine größere Energieautonomie und steigende Preise. Laut BSW-Solar hat sich dieser Trend seit dem Beginn der russischen Invasion noch verstärkt und einige Bundesländer haben begonnen, Solaranlagen auf neuen Häusern zur Pflicht zu machen. 

Mehr Investitionen

Das schwindende Vertrauen der Investoren ist seit langem ein großes Hindernis für die deutsche Erneuerbare-Energien-Branche. Vor allem bei der Windenergie wurden die Ausschreibungsvolumina in den letzten Jahren aufgrund der Unsicherheiten über die zu erwartenden Gewinne nur selten ausgeschöpft. Verbindliche Zusagen über Ausbauvolumina und die benötigte EE-Kapazität könnten nun eine klare Perspektive für Erzeuger und Netzbetreiber bieten, die benötigte Hardware zu liefern und die entsprechende Logistik bereitzustellen, so der Windkraftkonzern BWE. Das steigende Interesse an Aktien von Unternehmen aus dem Bereich der erneuerbaren Energien nach dem Angriff Russlands scheint diese Annahme zu bestätigen, und die Regierung hat angekündigt, die Degression der Förderung bis 2024 auszusetzen, um diesen Trend aufrechtzuerhalten. Die Offshore-Windauktionen werden umgestaltet, um Contract for Difference (CfD)-Systeme einzubeziehen.

Der Solarenergiebranchenverband BSW-Solar erklärte, dass weitere Änderungen an der Förderregelung im Rahmen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes erforderlich sind, um einen stetigen Ausbau zu gewährleisten, obwohl das Interesse bereits jetzt stark gestiegen ist. Die Fördersätze für Dachanlagen müssen an die höheren Ausbauziele angepasst werden und Investoren unabhängig davon anlocken, ob sie ihren Strom primär vermarkten oder für den Eigenverbrauch nutzen wollen. Die Regierung hat sich darauf geeinigt, die ausgeschriebenen Mengen zu gleichen Teilen auf Dächer und Freiflächen aufzuteilen und kleinen Dachanlagen außerhalb des Ausschreibungssystems eine höhere Vergütung zu gewähren, einschließlich eines Stopps der Vergütungsdegression bis Anfang 2024. Anlagen auf landwirtschaftlichen Flächen oder Moorflächen erhalten eine Bonuszahlung, um wettbewerbsfähig zu werden.

Auch der Fachverband Biogas hält Änderungen am Förderregime für notwendig, da seit der Ablösung der staatlich garantierten Vergütungssätze durch Ausschreibungen im Jahr 2017 die ausgeschriebenen Mengen nie vollständig ausgeschöpft wurden. Und das, obwohl die Technologie in einem System, das zu 100 Prozent auf erneuerbaren Energien basiert, einen viel größeren Beitrag leisten könnte, da sie die Speicherung von erneuerbarer Energie ermöglicht und über das ganze Land verteilt ist, was die Versorgung flexibler macht, argumentierte der Fachverband. Die Regierung hat in ihrer Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes angekündigt, die Subventionen auf hochflexible Bioenergie-Kraftwerke zu konzentrieren und die Ausschreibungsmengen für Biomethan zu erhöhen, das eine flexiblere Nutzung ermöglicht.

Qualifizierte Arbeitskräfte

Der Mangel an Fachkräften ist im deutschen Baugewerbe und in der verarbeitenden Industrie weit verbreitet und stellt eine Herausforderung für die Ambitionen der Unternehmen im Bereich der erneuerbaren Energien dar. Der Verband der Heizungsindustrie (ZSVKH) sagte, dass das Ziel, bis zu 6 Millionen Wärmepumpen im ganzen Land zu installieren, aufgrund des Fachkräftemangels unerreichbar werden könnte. Rund 60.000 Arbeitskräfte würden fehlen, sagte ZSVKH-Chef Michael Hilpert auf einer Konferenz Anfang 2022. Die Dekarbonisierungsziele in der Branche seien "mit dem vorhandenen Potenzial" an Arbeitskräften nicht zu erreichen.

Solarmodule weisen einen hohen Automatisierungsgrad in der Produktion auf, was bedeutet, dass die Hardwareproduktion mit entsprechenden Investitionen in Maschinen schnell gesteigert werden kann. Für die Installation der Paneele, die manuelle Arbeit vor Ort erfordert, könnten jedoch Arbeitskräfte knapp werden. Während einige und vor allem größere Solarstromanlagen von international tätigen Teams errichtet werden, könnten die Hersteller von einem kurzfristigen Zustrom qualifizierter inländischer Arbeitskräfte profitieren, wenn nur ein Bruchteil der riesigen Belegschaft im Elektrohandel umgeschult wird, um ihre Fähigkeiten für die Energiewende zu nutzen, so der BSW-Solar. Dazu müsste die Politik dafür sorgen, dass der Boom auf der Ausbaustufe nicht von kurzer Dauer ist, sondern langfristig wirtschaftliche Chancen bietet.

Windenergieanlagen werden in der Regel mit einem hohen Anteil an Handarbeit hergestellt und ihre Montage erfordert sowohl Fachkräfte als auch Spezialgeräte wie Kräne und Lkw für übergroße Transporte. Der BWE hat eine Initiative gestartet, um bis 2022 mehr Arbeitskräfte für die Planung, Produktion, Installation und den Betrieb von Windkraftanlagen zu gewinnen. Nach Angaben des Branchenverbands schätzt die Bundesagentur für Arbeit, dass bis zu 40 Prozent des gesamten Arbeitskräftebedarfs für die Klimaneutralität in Kategorien fallen, in denen die Suche nach qualifizierten Arbeitskräften bereits jetzt eine Herausforderung darstellt. Allein in der Offshore-Windindustrie seien seit 2018 rund 3.000 Arbeitsplätze durch den Zusammenbruch des Ausbaus verloren gegangen, so die Branchengruppe WAB. Das Ziel von 70 GW Offshore-Windkraft im Jahr 2045 könne nur erreicht werden, wenn jetzt entsprechende Investitionen in Produktionsanlagen, Arbeitskräfte und Hafeninfrastruktur getätigt würden.

Rohstoffe und funktionierende Lieferketten

Die Coronavirus-Pandemie hat die reibungslos funktionierenden Versorgungsketten in vielen Industriezweigen auf der ganzen Welt beeinträchtigt, so auch bei den Herstellern von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien. Obwohl die Hersteller von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien größtenteils nicht von direkten Rohstoffimporten aus Russland oder der Ukraine abhängig sind, haben sich die Versorgungsprobleme durch den Krieg und den daraus resultierenden Anstieg der Rohstoffpreise verschärft. Lösungen könnten nur gemeinsam mit der Regierung gefunden werden, so der BWE. Der Anstieg der Rohstoffkosten hat bereits zu Befürchtungen geführt, dass dies die Kosten der deutschen Energiewende stark in die Höhe treiben könnte, und zu einem möglichen Phänomen, das als "Greenflation" bezeichnet wird und bei dem die Kosten für kohlenstoffarme Technologien stärker steigen als in anderen Sektoren.

Der Solarkonzern BSW Solar zeigte sich zuversichtlich, dass die Störungen bis 2023 überwunden werden können. In einer Anfang 2022 durchgeführten Umfrage gaben jedoch mehr als die Hälfte der befragten Solarunternehmen an, dass sie derzeit aufgrund von Problemen in der Lieferkette Schwierigkeiten haben, Projekte umzusetzen. Die Argumente für eine bessere Selbstversorgung Europas mit kritischen Ressourcen durch die Nutzung heimischer Reserven dürften daher bei den Herstellern stärker werden, die befürchten, dass ein reibungsloser Handel durch systemische Schocks und strengere Vorschriften zur Transparenz der Lieferkette vereitelt werden könnte.

Ausbau von Netzen und Speicherkapazitäten

Ein Stromsystem, das zu 100 Prozent auf erneuerbaren Energien basiert, braucht eine Vielzahl von Speichertechnologien, um flexibel genug zu sein, um ein ganzes Land zu versorgen. Dazu gehören Batteriespeicher, entweder kleine Batterien für Privathaushalte oder Batterien im industriellen Maßstab in Fabriken, sowie Pumpspeicher, Biogas und Wasserstoff aus erneuerbaren Energien für andere Großverbraucher. Sektorkopplungsansätze wie Power-to-Heat ermöglichen auch die direkte Einbindung von erneuerbaren Energien in den Wärmesektor. Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, dass ab 2025 jede neue Heizungsanlage mit 65 Prozent erneuerbaren Energien, wie grünem Wasserstoff, betrieben werden muss. Aber auch die Elektrolyseure, die zur Umwandlung von Strom in Wasserstoff benötigt werden, erfordern lange Genehmigungsverfahren. Auch die Photovoltaik könnte eine wichtige Rolle bei der Substitution von Heizgas spielen, so die Lobbygruppe BSW-Solar, die argumentiert, dass das Fehlen geeigneter politischer Instrumente die Entfesselung der Solarenergie in diesem Sektor verhindert. Die Nachrüstung bestehender Öl- und Gasheizungen mit zusätzlichen solarthermischen Anlagen könnte den Verbrauch von fossilem Strom erheblich reduzieren, und auch bei der Fernwärme könnten erneuerbare Energien eine größere Rolle spielen, sowohl mit Solar- als auch mit geothermischer Energie.

Mehr Speichermöglichkeiten bedeuten auch, dass weniger Strom ins Netz eingespeist werden muss. Das Stromnetz bedarf jedoch noch erheblicher Investitionen, um es für den Ausstieg aus der fossilen und nuklearen Energieversorgung fit zu machen. Netzausbau und -modernisierung, die die Integration zusätzlicher Kapazitäten aus erneuerbaren Energien ermöglichen und fossile Kraftwerke ersetzen, werden ebenso wichtig sein wie der Bau von mehr Windrädern und Sonnenkollektoren. Die geplanten großen Übertragungsleitungen, die erforderlich sind, um den windreichen Norden Deutschlands mit den Industriezentren im Süden zu verbinden, sind angeblich "Jahre hinter dem Zeitplan". Außerdem müssen die lokalen Verteilungsnetze flexibler gestaltet werden, um die Einspeisung durch Prosumer mit Solaranlagen auf ihren Häusern zu ermöglichen.

Die vielen dezentralen und intermittierenden Anlagen zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien machen es erforderlich, dass Stromüberschüsse während der Einspeisespitzen, z. B. bei starkem Wind oder an sonnigen Tagen um die Mittagszeit, über die Verteilungsnetze umgeleitet werden können. Speicheroptionen und Lastmanagement sind eine Möglichkeit, Flexibilität zu schaffen, aber auch die Nachrüstung der Netze, um bidirektionale Stromflüsse zu ermöglichen, wird erforderlich sein, so der Branchenverband BEE. Der Landesverband Erneuerbare Energien Niedersachsen (LEE) erklärte, dass Bioenergieanlagen ihre Leistung schnell hochfahren könnten, wenn das Lastmanagement verbessert würde. In Zeiten hoher Windstromproduktion würden immer noch zu viele Biogasanlagen zu oft abgeschaltet, um Last abzubauen, wodurch auch die Wärmeerzeugung mit Biogas unterbrochen werde. Eine bessere Integration von Wärme- und Stromversorgungsmanagement könnte hier schnell Abhilfe schaffen, so der LEE.

Quelle 05/2022 - 1

Quelle 05/2022 - 2

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Grüne Schlüsseltechnologien (ZEV), Verwendung von Strom für den Antrieb von Autos, Bussen und Lastwagen
Im Gebäude und für Elektro-Mobilität.